Samstag, 2. November 2013

Feminismus liebt Männer

So, jetzt ist passiert, was ich niemals für möglich gehalten hätte: gestern, am 1.11.2013, habe ich mein offizielles Coming Out als Feministin vollzogen.

"Wie geht das denn?" werden diejenigen fragen, die meine Positionierung bisher und in den letzten Tagen verfolgt haben.

Feministin. Das war für mich ein Unwort. Es war behaftet mit schlechten Erinnerungen aus meiner Kindheit bis in die Zeit als Twen. Angelehnt an den Schwarzer-Feminismus war es für mich interpretiert als "Männerhasserin", als "Schwanz ab Fraktion".
Als junge Frau wurde ich von Menschen in meinem persönlichen Umfeld in meinem Bestreben, unabhängig und emanzipiert zu leben, damit "beschimpft". Es wurde verwendet, um meine Lebens-Ziele zu diskreditieren. Ich wusste mir damals einfach nicht anders zu helfen, als mich emotional und auch in jeder anderen Form so weit wie möglich davon zu distanzieren. Ich wollte keine "von denen" sein, also wehrte ich mich radikal gegen die Bezeichnung. Feministin.

Als ich im April 2013 mit einer Gruppe Menschen in der Piratenpartei die PiratinnenKon organisierte, ging es mir nicht anders. Auf Twitter wehrte ich mich lautstark gegen die Bezeichnung. Dafür wurde ich von einer der Berliner Feminist*innen scharf kritisiert, als Antifeministin beschimpft, und die PiratinnenKon wurde teilweise meinetwegen sogar von ihnen boykottiert. Mir war das recht. Es bestätigte meine Erfahrung. Mit Menschen, die sich so verhalten, will ich eh nichts zu tun haben. Dass Menschen wie Anatol Stefanowitsch und Anke Domscheit-Berg, die sich offen zum Feminismus bekennen, mich weiterhin respektierten, obwohl wir inhaltlich in so manchem Punkt auseinanderliegen mögen, hat mich nachhaltig beeindruckt. Ihnen war es gleich, wie ich mich nenne oder auch nicht, sie sahen meinen Einsatz für die Gerechtigkeit innerhalb der Gesellschaft. Das rechne ich ihnen hoch an.

Auf der anderen Seite bekam ich, die sich immer vom "Feminismus" distanziert hatte, im Vorfeld der PiratinnenKon von bekennenden Feministenhassern und sogenannten Männerrechtlern volle Breitseite an Hasstweets. Das hat mich sehr geschockt damals.
Dass gerade ich, die eine deutlich distanzierte Positionierung zum "Feminismus" lebte, dass ich, die Männer sehr schätzt und liebt, und mit der PiratinnenKon nichts anderes als ein Aufeinanderzugehen und die Verbesserung der Kommunikation im Miteinander in der Partei beabsichtigte, völlig unreflektiert in die Ecke derer, von denen ich mich immer distanzieren wollte, gestellt wurde, brachte mich außer Fassung.
Ein Dialog mit dieser kleinen Handvoll Menschen, die dafür umso massiver laut waren, war offensichtlich von ihnen nicht gewünscht. Sie alle hatten eine vorgefertigte ablehnende Meinung, der ich auch mit Erklärungen nicht begegnen konnte, ohne im Weiteren beleidigt oder beschimpft zu werden. Bedauerlicherweise ist zu bemerken, dass diese paar Personen fast ausschließlich Männer waren. Das rüttelte schon ein wenig an mir.

Vor zwei Tagen dann erreichten mich zwei Links, die ich mir abends anschaute. Einmal die Geschichte des Abtreibungspragraphen §218, die ich bereits in meiner Kindheit mit allergrößtem Interesse verfolgt hatte, und zum anderen ein Abriss aus der Werbegeschichte des frühen 20. Jahrhunderts.
Ich will hier gar nicht näher darauf eingehen. Berichten möchte ich jedoch von meiner tiefen emotionalen Betroffenheit, die diese beiden Beiträge in mir auslösten. Ich bin 1965 geboren worden, eine Zeit kurz bevor sich die Frauenbewegung gründete. Mit einem Mal kamen mit voller Wucht all die Erinnerungen aus meiner frühesten Kindheit zutage. Erinnerungen, nach denen ich bei meinen Großeltern, Nachbarn und in meinem gesellschaftlichen Umfeld allgemein genau das beobachtet hatte, wovon der Film bzw. die Werbe-Anzeigen berichteten. All die Gründe, warum ich mich einerseits schon als kleines Mädchen emanzipiert hatte, und gleichzeitig emotional als junge Frau in den Zwanzigern so harsch vom "Feminismus" abgewandt hatte. Ich erkannte mein Trauma. Oder wie man das sonst nennen würde.

Gestern nun, als wegen der Satzungsänderungsanträge zur Quote auf dem nächsten Bundesparteitag die Diskussion auf Twitter erneut entbrannte, äußerte ich mich auf einem Blog zur Ablehnung der Quote in der Piratenpartei zu den Gründen meiner Ablehnung einer Quote. Daraufhin wurde ich von einem Berliner Piraten, den ich bis dahin sehr schätzte, nicht nur kommentarlos entfolgt, sondern auf meine Nachfrage mit einem hübschen Godwin Vergleich bedacht und als Antifeministin abgestempelt. Desweiteren mischten sich die üblichen Personen leise applaudierend mit ein, ohne natürlich in direkten Kontakt mit mir zu treten. Ich konnte es wieder einmal nicht fassen. Und sah mich in der Ablehnung der "Feministischen Front", wie ich sie gerne nannte, wieder einmal mehr als bestätigt.

Abends dann traf ich auf einer Halloween Party meine Freunde, und natürlich entspann sich im Laufe des Abends ein Gespräch über das Thema Feminismus. Wir tauschten unsere üblichen Argumente, ohne uns darüber zu streiten. Ich hatte eben noch erklärt, dass ich Männer toll finde, dass ich keinerlei Interesse hätte, als Feministin beschimpft zu werden, weil auch mich die Prangerei wegen jeder Kleinigkeit nervt, und ich keinesfalls dem Bild derer entsprechen wollte, die sich in meinem Umfeld in Berlin als Feministinnen hervortun.


Auch Anke Domscheit-Berg stand in der Runde, und versuchte wie immer, mir eine andere Sicht auf das Thema zu eröffnen. Und da brachte ein Partygast, Peter Sunde, ein Argument in den Ring, das mich stutzig machte:
"Frauen wurden diskriminiert."
"Ja, ich weiß."
"Feminismus ist gegen Diskriminierung und jeder Mensch, der gegen Diskriminierung ist, ist damit auch ein Feminist." fuhr Peter fort.
"Ja, mag sein", erwiderte ich, "ich bin aber nicht so wie die, die ständig darüber prangern, und hochintellektuelle theoretische Kämpfe kämpfen. Ich bin anders. Und ich will nicht Feministin genannt werden."
"Ja," sagte er, "das verstehe ich. Dann interpretiere den Feminismus neu."
Ich stutzte.
Neu interpretieren? Was meint er damit?
"Sei einfach so wie Du bist. Hab Spaß mit dem was Du tust. Und das als Feministin."
"Hahaha," ich lachte, "das wird die feministische Front empören!"
Ich schmunzelte bei dem Gedanken.
"Ach was", warf Anke ein, "was soll denn daran empören?"
"Naja", gab ich zu bedenken, "ich habe da schon so meinen ganz eigenen Stil. Ich habe meine Karriere zugunsten des Kindes freiwillig aufgegeben. Ich bin gern alleinerziehende Hausfrau gewesen, habe mir eigens dafür Visitenkarten drucken lassen damals. Ich mache meinem Kind früh das Frühstück, obwohl er das schon lange selbst könnte. Ich habe lange gebraucht, um mich von den Rollenbildern der modernen Frau, in die ich als unabhängiges emanzipiertes Mädchen hineingewachsen bin, zu lösen, und meine eigene Rolle als Frau neu zu definieren. Das alles verträgt sich wohl kaum mit dem Bild einer Feministin."
"Warum denn nicht?" Peter schaut mich mich großen Augen an. "Sei, was du bist. Solange du gegen die Diskriminierung von Menschen bist, kannst du doch alles sein. Völlig egal, was andere Feministen* von Dir erwarten. Übernimm den Begriff und interpretiere ihn auf deine Weise neu. Alles ist möglich."

Ich verließ die Küche und setzte mich in die Runde am Tisch. Sundes Worte gingen mir nicht mehr aus dem Kopf. Den Feminismus neu interpretieren. Darüber hatte ich schon einmal laut nachgedacht. z.B. im taz Interview zur PiratinnenKon oder im Interview mit der BRIGITTE.de
Ich hatte im März 2012 die Idee zu Piraten zeigen Gesichtinnen entwickelt, um eine neue Form zu finden, die weiblichen Anteile in der Piratenpartei zu zeigen. Mir lag immer daran, alle Menschen gleichberechtigt zu berücksichtigen. Mittlerweile gibt es Hunderte von tollen Fotos, in denen bartjez.cc die Weiblichkeit der Piraten festgehalten hat. Seine Fotos waren die Grundlage der Plakatkampagne zur Bundestagswahl 2013.

Den Feminismus neu interpretieren. Wenn das möglich ist, dann will ich das wohl gern tun. Und so gährte innerhalb einer halben Stunde in mir der Entschluss, meine großen Widerstände in mir zu überwinden und es einfach zu tun: Mich als Feministin outen.

Nachdem mein Entschluss fest stand, wusste ich, dass ich das ganze mit einem Bild kommunizieren würde. Einem Bild, was einigen fremd oder vielleicht sogar zuwider wäre im Zusammenhang mit dem Begriff Feminismus. Es ist eben meine ganz eigene Interpretation von Feminismus.

Und so twitterte ich am 1.11.2013 mein Coming Out als Feministin mit diesem Bild:
Foto: Michael Melter

Leute, ich bin immer noch die Gleiche, und seit gestern bin ich dazu nun auch noch offizielle Feministin. Ich interpretiere den Begriff neu. Freut Euch drauf. Ich jedenfalls tue es :)

Danke an Peter Sunde aka @brokep und Anke Domscheit-Berg aka @anked