Dienstag, 8. November 2011

An die genervten Männer

Alle Männer, die genervt sind von den Debatten um Feminismus und Genderdings, die einfach möchten, dass alle gleichwertig sind, weil sie empfinden, dass es so ist, haben sicher recht. Aus ihrer Sicht mag die Debatte überflüssig sein, oft durchgekaut, schon lange verstanden und verinnerlicht. So ist es mir mit der 2. Weltkriegthematik gegangen. In allen Fächern haben wir das Thema bis zum Umfallen durchgenommen, ich konnte es nicht mehr hören, es war doch klar, dass das schrecklich, unrechtlich, unmoralisch und verwerflich war. Da brauchte es doch nicht noch jahrelang immer wieder auf dem Lehrplan aufzutauchen. Dachte ich. Und heutzutage gibt es immer noch Sympathisanten mit dem Gedankengut der Nazis, ich sehe ein, dass weiterhin darüber geredet werden muss.

Und so versteht doch bitte, liebe Jungs und Männer, dass sich, obwohl es für Euch schon selbstverständlich ist und logisch, dass Mann und Frau, Mädchen und Junge und alles was es noch drumherum gibt, gleichwertig sind, die Debatte nicht einfach erledigt. Wir Mädchen und Frauen erleben diese Thematik tatsächlich anders als Ihr, da ist es einfach nicht hilfreich, genervt zu sein, sondern hilfreich ist, das zuzugestehen. Welcher Junge weiß schon genau, was es außer seiner Sichtweise noch für Erlebniswelten gibt? Parallelwelten sozusagen, mitten im Gestern, mitten im Jetzt, und wer weiß, ob sie auch morgen noch entstehen. Ohne Bewusstsein vielleicht.

Deshalb will ich mal kurz erzählen, warum mich das Thema, trotz Eurer Aufgeklärtheit immer noch berührt und bewegt.

Ich bin als Mädchen und Frau sicher anders aufgewachsen als Ihr. Das kann sich wahrscheinlich einfach kein Mann vorstellen. Ich bin sicher, Ihr seid nicht umsonst genervt von dem Thema, und negiert es deswegen am liebsten.

Als Mädchen habe ich Mädchen verachtet. Da könntet Ihr jetzt sagen, das ist unnötig, und ungerecht. Ja, klar, ist es, aber ich habe ihre 'Minderbemittelung' verachtet, dieses ständige 'Mädchen können das nicht'. Meine längste Freundin und ich waren wie Jungs, ach was, besser. Ich war immer der Bandenchef, demokratisch gewählt natürlich.

Außerdem wollte mein Vater kein Mädchen. Heute weiß ich, dass er eigentlich gar nicht bereit war für ein Kind, ich habe allerdings die Tatsache, dass ich, wenn überhaupt, nur Zeit mit ihm verbringen konnte, wenn ich Jungssachen mitgemacht habe, so interpretiert. Sachen reparieren, da konnte ich die meiste Zeit mit ihm abgreifen.

Meiner Puppe habe ich als erste Maßnahme die Haare kurz geschnitten, und mit 7 durfte ich endlich einen Jungenhaarschnitt haben. Kurze Haare hatte ich, bis ich etwa Mitte zwanzig war. Etwas anderes kam gar nicht in Frage.

Bedauerlicherweise habe ich den Absprung in ein Teenager'mädchen' nicht geschafft. Das war sicher auch der Tatsache geschuldet, dass ich ein extremer Spätzünder war. Aber bitte, erzählt mir nicht, dass es in dem Alter nicht identifikationsdefinierend ist, wie man aussieht und sich benimmt. Ich sah immer noch aus wie ein Junge, und ich habe mich auch noch so benommen. (erstaunlicherweise gab es trotzdem Jungs, die in mich verliebt waren, aber das habe ich nie bemerkt, weil ich es für unmöglich gehalten habe)
Dann kam die Depression, Lebensmüdigkeit, Suchtthematik mit Bulemie und alles mögliche andere. Ja, das hat mit nicht ausgeprägtem Selbstbewusstsein zu tun gehabt und ist vielleicht gar nicht gendertechnisch bedingt gewesen. Vielleicht aber doch?

Bei den Hausbesetzern und Punks ging es dann. Da musste ein Mädchen sogar derb sein, Springerstiefel an, frech und mutig, da war alles klasse. Außer der Rollenverteilung in die ich dann in meiner ersten Liebe gerutscht bin. Ein Abbild der Rollenverteilung meiner Großmutter und Mutter, etwas, vor dem ich mich selbst immer gewarnt hatte. Klassisch.

Neulich fragte mich ein Freund im Rahmen einer Diskussion über das Kapitel pi pa post gender folgende Dinge.

Warum bist du Prä - Gender? ... und nicht einfach Gender?
Weil einfach nur gender nicht existiert. Es gibt Frauen, und es gibt Männer, und ich weiß, dass ich viele männliche Attribute habe, und man würde mich vielleicht noch für eine Lesbe halten, wenn ich mir nicht Weiblichkeit angewöhnt hätte. Die ich im übrigen sehr mag. Seit ich 33 bin, lasse ich mir sogar von Männern beim Sachen Tragen helfen. (wobei ich grad merke, wie ungerechtfertigt diese Aussage ist! Natürlich sind Lesben auch unter Umständen sehr weiblich. Ersparen wir uns die Diskussion darum und nehmen einfach nur hin, dass ich es so gedacht habe, mit meinem damaligen Hintergrund. Die lesbische Frau, die mal für meine Mutter geschwärmt hat, war eben anders, das war die einzige lesbische Frau die ich kannte, bis ich Mitte 20 war.)

Warum musst du die Rollen tauschen .... mal so mal so ?
S.o.: mal bin ich derb, mal nicht. Ist eben so. Und da ich aufgewachsen bin in einer Zeit, in der noch zugeordnet wurde, definiert sich mein Ich mal als 'männlich' mal als 'weiblich'. Das ist oft kein homogenes Gefühl, es switcht. Toll, wenn Mädchen das schon anders erleben konnten. Mir ist es, selbst bei intensiver Reflexion, bis heute nicht gelungen, daraus ein durchgehend gleiches Daseinsgefühl zu kreieren.

Warum musst du als Frau deinen Mann stehen ?
Weil ich nicht nur Hausfrau und Mutter war, sondern auch noch Alleinverdienerin. Weil schwach sein einfach nicht drin war. Ich habe erst 2007 gelernt zu weinen, nach bestimmt 15 jahren, in denen ich mir das nicht erlaubt hatte. Heute könnte ich es, zum Glück gibt es keinen Grund dazu, weil ich glücklich bin. Allerdings weine ich immer noch extrem ungern, vielleicht mal so 30 Sekunden, und dann Ende. Da sind mir viele meiner Freunde voraus, das weiß ich, aber wie könnte ich negieren, dass ich es so erlebe? Es ist eben so gewesen.

Warum musst du die Rolle tauschen, um als Matrose vom Schiff zu brüllen?
Das ist nur auf mein Lachen bezogen. (Als Fan der gewaltfreien Kommunikation habe ich keinen Anlass zu brüllen)
Weil mein Lachen einfach mal gar nichts Weibliches hat, ich lache jeden Saal zusammen, laut und unweiblich. Ändern kann ich das schlecht, ich habe es schon geübt, aber Lachen ist Lachen, das kommt eben von Herzen und entzieht sich meiner Kontrolle.

Du siehst, ich habe selbst ein Frauenbild, was nicht dem entspricht, was ich durchgehend erfüllen kann. Deshalb fühle ich mich nur manchmal als Frau, und oft als eher männliches Wesen in meinem schönen weiblichen Körper, den ich sehr liebe. Mittlerweile.

Ich vermute, dass nur wenige Jungs oder Männer Frauen sein wollten. Nicht so viele wie die Frauen, die ich kenne, die Ähnliches durchlebt haben wie ich. Auch jüngere.
Viele Männer haben, glaube ich, keine Vorstellung davon, und deshalb boykottieren sie dieses Thema einfach beharrlich mit dem Argument, dass alles nur Einbildung sei, und dass wir schon lange post-gender seien.

Ich kann nur sagen, ist es nicht, und solange diese Themen noch wirken, werde ich mich engagieren, Mädchen stärken, Jungen natürlich auch, denn vielen wird viel zu viel Stärke abverlangt. Auch das behandelt der Feminismus.

Es wäre schön, wenn der geneigte Leser ein bisschen nachvollziehen kann, warum ich die Dinge so erzähle, wie ich das tue, warum ich solche Sätze wie oben benutze. Weil es einfach zu meiner Realität gehört. Bis heute. Die meisten Männer wollen keine solche Frau. Deshalb bin ich mit einem Jahr Unterbrechung, ich wollte doch mal klassisch heiraten und war mit einem Japaner verlobt, den ich sehr geliebt habe, seit dem Ende meiner ersten Liebe, also seit 10 Jahren, Single. Und das werde ich wohl auch bleiben. Es sei denn, ich treffe nochmal einen Mann, der meinem Männlicheitsideal entspricht und dennoch ein Feminist ist.

Ups, das war jetzt sehr persönlich, ich bin da immer sehr offen, das ist Teil meiner weiblichen Identität ; )#

P.S.: Dieser englische Artikel eines männlichen Feministen sagt für mich alles Wichtige, wunderbarerweise aus Sicht eines Mannes: http://www.lawsonry.com/945-can-a-man-be-a-feminist-my-personal-journey-into-male-feminism/